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Können Parteilose Instagram?

Analyse des Instagram-Wahlkampfes im Wahlkreis 61 zur Bundestagswahl 2021.

 

Kai Schuntermann     15.05.2024

Der Wahlkreis 61

 

Vermutlich jeder der 232.797 Wahlberechtigten im Wahlkreis 61 kennt die zwei Spitzenkandidaten. Und nicht nur dort. Denn beide haben weitaus mehr im Sinn, als das Direktmandat im Wahlkreis Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II. Beide wollen Bundeskanzler werden. Die Rede ist von Annalena Baerbock und Olaf Scholz. Das zwei Kanzlerkandidaten aus dem selben Wahlkreis kommen, ist eine interessante Randnotiz der Bundestagswahl 2021. Letztlich gewinnt Scholz nicht nur das Rennen um die Kanzlerschaft, sondern mit 34 % der Erststimmen auch den Wahlkreis 61. Annalena Baerbock kommt als Zweitplatzierte auf 18,8%. Beide verfügen über große personelle und finanzielle Ressourcen. Beide haben einen hoch professionellen Wahlkampf geführt. Auch auf Instagram. Der Dienst ist bei deutschen Berufspolitikern beliebt: Unter den Bundestagsabgeordneten, die erneut ins Parlament einzogen, nutzten 94 % das soziale Netzwerk. Im Wahlkreis 61 besaßen allerdings lediglich neun der 17 Kandidaten einen Account. Dabei nimmt die Bedeutung sozialer Medien für die politische Kommunikation immer weiter zu. So stellte die SPD bereits in ihrer Analyse der Bundestagswahl 2017 fest: „Die Print-Leitmedien heute folgen den digitalen Leitmedien und Social Media und nicht umgekehrt.“

Doch Social Media frisst Zeit. Hat ein parteiloser Kandidat die Ressourcen, um eine professionelle Präsenz auf Instagram aufzubauen? Wie schlägt er sich im Vergleich zu Scholz oder Baerbock? Und wie sieht ein professioneller Wahlkampf auf Instagram überhaupt aus?

 

Wie sieht ein professioneller Wahlkampf auf Instagram überhaupt aus?

 

Ausgehend von einer Untersuchung zur Instagram-Nutzung schwedischer Parteien im Wahlkampf 2014, kann zwischen vier für die strategische Kampagnenkommunikation politischer Akteure zentralen Funktionen unterschieden werden:

  1. Broadcasting: Die Verbreitung von Wahlkampfbotschaften und das Erklären der eigenen Inhalte.

  2. Mobilisation: Die Mobilisierung potentieller Wähler. Der Aufruf zur Stimmabgabe oder die Einladung zu eigenen Auftritten sind klassische Beispiele.

  3. Image-Management: Welche Bildstrategie wird verfolgt? Wie wirkt ein Kandidat auf Instagram? Werden persönliche Details erzählt? Wie wirken die Bilder auf den Rezipienten?

  4. Hybridity: Die Nutzung Instagrams zur Ergänzung weiterer Kampagnenkanäle. Beispiele sind der Verweis auf die eigene Webseite oder den bevorstehenden Facebook-Livestream.

 

Die Analyse

 

In einer Analyse des Instagram-Wahlkampfes im Wahlkreis 61 zur Bundestagswahl 2021 habe ich insgesamt 326 Beiträge der neun Kandidaten untersucht. Hier gibt es das PDF. Jeden im Analysezeitraum vom 29. August bis zum Wahlsonntag am 26. September veröffentlichten Beitrag habe ich auf die vier vorgestellten Funktionen strategischer Kampagnenkommunikation hin untersucht. Wenn Annalena Baerbock von ihrem früheren Berufswunsch Gärtnerin erzählt hat, wurde dieser Beitrag beispielsweise dem Image-Management zugeordnet.

Broadcasting: Mittels professionell produzierter Videos wird ausführlich über eigene Positionen und Forderungen informiert. Auch Zitatkacheln oder ausführliche Bildbeschreibungen sind Stilmittel.

Mobilisation: Ausschließlich Aufrufe zur Wahl.

Image-Management: Ein wiederkehrendes Motiv ist das gemeinsame Ablichten mit Kindern. So trägt sich Scholz beispielsweise in das Freundebuch eines Jungen ein. In einem Video spielt er zudem umringt von Schulkindern auf einem Pausenhof Basketball. Ein Foto am Wahltag zeigt neben Scholz auch dessen Frau beim Verlassen des Wahllokals.

Hybridity: Es wird auf die Instagram-Accounts der SPD, anderer SPD-Politiker oder der Jusos verwiesen.

Broadcasting: Auch Baerbock nutzt zahlreiche selbst produzierte Videos und Zusammenschnitte aus TV-Auftritten, um über ihre Positionen und Forderungen zu informieren. Die Bildunterschriften sind umfangreich.

Mobilisation: Wie bei Scholz steigert sich die Frequenz. In den Tagen vor der Wahl findet eine tägliche Erinnerung statt.

Image-Management: Baerbock beschreibt das Leben während einer Wahlkampftour. Es geht um Karaoke im Tourbus oder das Teilen kalter Pizza. Aus ihrem Bus heraus führt sie zudem Interviews mit teils privaten Inhalten, von denen sie Ausschnitte hochlädt.

Hybridity: Häufig wird auf den Youtube-Kanal der Grünen und die Instagram-Accounts anderer Politiker verwiesen.

Broadcasting: Professionell produzierte Videos, geteilte Zeitungsartikel. Wesentlich kürzere Bildbeschreibungen.

Mobilisation: Anders als bei Scholz und Baerbock keine retroperspektivische Darstellung, es wird auf anstehende Wahlkampfauftritte hingewiesen.

Image-Management: Vorstellen der persönlichen Musikplaylist oder ein Rückblick auf einen gemeinsamen Wahlkampf mit Hans-Dietrich Genscher.

Hybridity: Häufig Bilder von aufgestellten Wahlplakaten.

Broadcasting: Viele Zitatkacheln. Zahlreiche Videos, die teils mehrfach gepostet werden. Fokus auf lokale Themen.

Mobilisation: Auch Ludwig weist auf anstehende Wahlkampfauftritte hin.

Image-Management: Ein Alleinstellungsmerkmal sind die zahlreichen Bilder ihres Hundes. Es wird beispielsweise der Besuch beim Tierarzt dokumentiert. Dieser monothematische Einblick in ihr Privatleben macht 13 der 18 Beiträge aus.

Hybridity: Weist häufig auf die eigene Webseite hin, postet eigene Wahlplakate.

Broadcasting: Ausführliche Bildunterschriften, produzierte Videos, TV-Auftritte und Zitatkacheln.

Mobilisation: Hier wird der Rezipient teils sehr direkt angesprochen. Beispielsweise wird in mehreren Bildunterschriften gefragt, ob jemand beim Aufstellen von Plakaten helfen könnte. Ein anderes Mittel ist die Einladung zu Zoomcalls, um gemeinsam über Politik zu sprechen. Daneben erfolgt das Teilen eines Spendenlinks zur finanziellen Unterstützung der Kampagne. Dieser Beitrag wird auch mit der Bitte des Teilens versehen. Einladungen zu eigenen Auftritten erfolgen mit Angabe von Uhrzeit und Adresse. Wahlplakate zeigt Roloff nicht nur als Bid, sondern auch in einer Videovorstellung. Auch Roloff erinnert an die Wahl und bittet in mehreren Beiträgen um die Erststimme.

Image-Management: Wenig Einblick in das Privatleben. Ein ein gemeinsames Bild mit den Eltern kein Teilen persaönlicher Informationen.

Hybridity: Die Zoomcalls und das Teilen von Spendenlinks stellen Kampagnenkanäle dar, die von keinem anderen Kandidaten genutzt werden.

Broadcasting: Zahlreiche Videos. Umfangreiche Bildunterschriften. Die Posts sind nicht immer tagesaktuell, so werden einmal wöchentlich in einer Sammlung aus mehreren Bildern die Termine der vergangenen Woche gezeigt

Mobilisation: Lediglich 2 Beiträge (13,3%) stellen eine Mobilisierung dar. Auf den anstehenden Straßenwahlkampf wird mit Ort und Uhrzeit verwiesen. Einen Tag vor der Wahl gibt es den einzigen direkten Wahlaufruf.

Image-Management: Nur ein Post teilt privates.

Hybridity: Verweise auf zahlreiche Instagram-Accounts. Zudem wird auf den Youtube-Kanal der Partei aufmerksam gemacht.

Broadcasting: Der AFD-Kandidat postet im Untersuchungszeitraum 33 Beiträge. Davon erfüllen 27,3% eine Broadcasting-Funktion. Diese Zahl bedarf einer weiteren Erklärung. 16 der Beiträge bestehen aus Screenshots von Zeitungsüberschriften. Das Teilen von Artikeln wurde bei den bisherigen Kandidaten dem Broadcasting zugeordnet, da eine inhaltliche Positionierung stattfand. Der entsprechende Beitrag macht deutlich, wie der Kandidat inhaltlich zu einem oder mehreren Themen steht. Es werden eigene Wahlkampfbotschaften verbreitet, oder die aktuelle Situation kritisiert. Die Artikel wurden vom Kandidaten selbst verfasst, stellen ein Interviewformat dar, oder bieten eine andersweitige Möglichkeit des Broadcastings. Auch einige der Beiträge des AFD-Kandidaten weisen auf die eigene Positionierung hin. In vielen Fällen ist dies jedoch nicht der Fall. Beispielsweise behandelt eine gepostete Artikelüberschrift die Einstellung des Strafverfahrens gegen Alice Weidel. Eine Bildunterschrift ist nicht enthalten. Eine andere gepostete Artikelüberschrift thematisiert den Wahlsieg der AFD bei der U18-Wahl in Eisenhüttenstadt. Auf einem vom Kreiserband der AFD erstellten Bild ist eine Schülerin mit Kopftuch zu sehen. Darunter steht die Feststellung, das in Potsdam jeder zweite Schüler einen Migrationshintergrund hat. Wie Tim Krause dazu steht, ist nicht ersichtlich. Zwar kann aufgrund der generellen inhaltlichen Ausrichtung der AFD eine Positionierung vermutet werden. Jedoch wird diese nicht direkt dargestellt. Beiträge dieser Art werden daher nicht unter der Rubrik Broadcasting geführt. Davon ab postet auch Krause mehrere eigene Wahlvideos, in denen er sich entsprechend positioniert.

Mobilisation: Der konkrete Wahltermin wird in keinem Beitrag erwähnt. Auch ein direkter Aufruf, AFD zu wählen, erfolgt nicht. Einladung zum Familienfest der AFD.

Image-Management: Ein Image-Management findet nicht statt.

Hybridity: Die Einbindung anderer Kampagnenkanäle erfolgt in fünf Beiträgen. So wird auf das Instagram-Profil von Alexander Gauland oder auf ein Interview bei AFD-TV hingewiesen.

Broadcasting: Ein Beitrag in Form eines Wahlvideos.

Mobilisation: Eine Mobilization findet in drei Fällen statt. So ruft Margraf in einem Video dazu auf, die ÖDP zu wählen. Am Wahltag postet er ein Bild von sich vor der Wahlurne. Zudem weist ein Post auf eine zweitägige Präsenz der Partei am Brandenburger Tor hin.

Image-Management: Ein Image-Management findet nicht statt.

Hybridity: Der Hinweis auf den eigenen Auftritt am Brandenburger Tor stellt die einzige Ergänzung anderer Kampagnekanäle dar.

Broadcasting: In einem Video werden politische Forderungen gestellt. Anders als bei den Videos der anderen Kandidaten ist der Kandidat hier jedoch nicht in Bewegtbild zu sehen. Stattdessen werden ähnlich einer Powerpoint-Präsentation mehrere mit Musik untermalte Folien abgespielt.

Mobilisation: Auf einer der Folien wird um die Erststimme für Charnow gebeten. Diese Folie wird am 26 September zum Wahltag als einzelnes Bild erneut gepostet. Zwei der Posts erfüllen somit die Funktion der Wählermobilisierung.

Image-Management: Ein Image-Management findet nicht statt.

Hybridity: Gegen Ende des Videos wird auf das Facebook-Profil von Charnow verwiesen. Dies stellt die einzige Ergänzung anderer Kampagnenkanäle dar.

Fazit

 

Ein pauschaler Unterschied zwischen den Beiträgen der Kandidaten etablierter Parteien und jenen der nicht im Bundestag vertretenen Parteien – beziehungsweise parteilosen Kandidaten – ließ sich nicht feststellen. Zwar erfüllten mit dem parteilosen Charnow und dem ÖDP-Kandidaten Margraf zwei vermeintlich kleine Politiker nicht sämtliche Funktionen: Private Einblicke nach dem Image-Management konnte beide nicht bieten. Die geringe Anzahl der Posts bei beiden unterstützt die These eines unprofessionell geführten Instagram-Wahlkampfes. Auf der anderen Seite konnte mit Lu Yen Roloff eine parteilose Kandidatin überzeugen: 56,1% ihrer Beiträge erfüllten die Funktion der Mobilization – kein anderer Kandidat erreichte einen ähnlich hohen Wert. Zudem nutzte Roloff gleich mehrere Formen der Mobilisierung exklusiv. Auf der anderen Seite schnitten die Beiträge des Spitzenkandidaten Scholz in der Kategorie Hybridity prozentual gesehen am schlechtesten ab. Im direkten Vergleich zwischen Scholz und Baerbock konnten die Posts von letzterer in allen vier Funktionen einen höheren Anteil aufweisen. Beim Broadcasting schneiden sowohl Scholz als auch Baerbock wesentlich besser ab als alle anderen Kandidaten – auch jene etablierter Parteien.

Abschließend lässt sich folgendes Fazit ziehen: Zwar sind leichte Unterschiede zwischen den Bewerbern etablierter Parteien und Kandidaten kleinerer Parteien, beziehungsweise parteilosen Bewerbern erkennbar. Zu eindeutig sind die Unterschiede zwischen Margraf und Körner auf der einen und den Spitzenkandidaten auf der anderen Seite. Das Beispiel Roloff zeigt jedoch, das die Zugehörigkeit zu einer etablierten Partei kein notwendiges Kriterium für einen professionell geführten Wahlkampf auf Instagram zu sein scheint. Auch Parteilose können Instagram.